Sexuelle Übergriffe in Chemnitz: Fast jeden Tag ein neuer Fall Angesichts einer Häufung sexuell motivierter Straftaten in der Öffentlichkeit macht sich Unbehagen breit. Gibt es einen wirksamen Schutz?

erschienen am 01.06.2018

Erfahrenen Polizeibeamten schwante nichts Gutes, als Wetterprognosen die ersten hochsommerlichen Temperaturen ankündigten. Sie sollten recht behalten: Die Anzahl sexuell motivierter Straftaten im öffentlichen Bereich schnellte prompt in die Höhe. Nahezu jeden Tag meldet die Polizei derzeit einen Vorfall aus dem Stadtgebiet.

"Wir beobachten das seit Jahren: Mit dem Sommerwetter nimmt die Häufigkeit dieser Delikte zu", sagt eine Polizeisprecherin. Und Chemnitz steht damit nicht allein da. Auch die Polizei in Dresden und Leipzig hatte zuletzt entsprechende Anzeigen auf dem Tisch.

Die Chemnitzer Bilanz seit Mitte vergangener Woche: unter anderem eine Vergewaltigung und drei sexuelle Belästigungen. Die Mehrzahl dieser Taten ereignete sich keineswegs zu später Stunde oder in den dunkelsten Winkeln der Stadt, sondern (mit Ausnahme der Vergewaltigung) zwischen Mittag und 20Uhr, an mehr oder weniger belebten Plätzen, oft im Umfeld von Grünanlagen. Das älteste Opfer war gerade 23Jahre alt, zwei Betroffene noch minderjährig.

Am Mittwochnachmittag gegen 14 Uhr traf es an der Bernsdorfer Straße eine 19-Jährige, die von einem Unbekannten belästigt wurde. Laut Polizei hielt der Mann sie fest, forderte sie zum Geschlechtsverkehr auf und versuchte, sie unsittlich zu berühren. Die Frau konnte sich losreißen, lief davon. Der Täter soll höchstens 35 Jahre alt, etwa 1,70Meter groß und sehr schlank gewesen sein. Er hatte schwarzes, gewelltes, knapp über die Ohren reichendes Haar, markante Augenbrauen, dunkle Augen und sprach gebrochen Deutsch.

Immerhin: Anders als in diesem wurden in zwei anderen der jüngsten Fälle relativ rasch Tatverdächtige ausgemacht. Bei dem Vergewaltiger soll es sich um einen 46 Jahre alten Deutschen handeln; bei dem zweiten Täter, der in einer Straßenbahn eine 14-Jährige über längere Zeit hinweg belästigt haben soll, um einen 27 Jahre alten Syrer.

In mehrfacher Hinsicht aus dem Muster fällt eine weitere Sexualstraftat vom vergangenen Wochenende, die gleichwohl für das meiste Aufsehen gesorgt hat: die Vergewaltigung eines 15-jährigen Mädchens durch einen 18-Jährigen. Anders als die anderen Vorfälle ereignete sich diese Tat nicht in der Öffentlichkeit, sondern im Keller eines Mehrfamilienhauses am Rande der Innenstadt. Das Opfer und der Tatverdächtige, ein aus Syrien stammender Jugendlicher, waren zudem zumindest flüchtig miteinander bekannt. Das Mädchen erlitt schwere Verletzungen, der mutmaßliche Täter sitzt in Untersuchungshaft. Wegen Fluchtgefahr, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft erläutert.

Nicht zuletzt viele Eltern fragen sich angesichts der Häufung entsprechender Vorfälle in letzter Zeit, was sie tun können, um ihre Kinder vor ähnlichen Übergriffen zu schützen. "Eine Möglichkeit, solchen Angriffen generell vorzubeugen, gibt es nicht. Das ist utopisch", sagt Jacky Paul von Wildwasser Chemnitz. Der Verein berät Opfer sexualisierter Gewalt, bietet Präventionsveranstaltungen und Selbstbehauptungskurse an. "Wichtig ist, den Kindern in der Erziehung Selbstbewusstsein mitzugeben", betont die Sozialpädagogin. Kinder, die vermittelt bekommen, sie hätten Erwachsenen keine Widerworte zu geben, sondern zu tun, was man ihnen sagt, falle es schwerer, bei Angriffen selbstbewusst aufzutreten. "Unsere Botschaft ist: Man darf laut werden, wenn es die Situation erfordert, sich wehren, zur Not auch mal unhöflich sein." Und nein, nicht der kurze Rock, den ein Mädchen oder eine Frau trägt, sei schuld, sondern einzig und allein der Täter. "Zugleich empfehlen wir, auf das eigene Bauchgefühl zu hören", so Paul. (micm)


aus der FP vom 01.06.2018


(Anm.: Doch, eine Möglichkeit, solche Vorfälle drastisch zu reduzieren gibt es, und sie ist allen bekannt.)